Jamaika-Bildungspläne sind keine echte Reform

Haarsträubende Kompromisslösungen

Die Eckpunkte der Koalitionsvereinbarungen des Jamaika-Bündnisses beinhalten sehr tiefgehende Änderungen des saarländischen Bildungssystems, die nur über eine Verfassungsänderung umgesetzt werden können. Geplant sind sogenannte Gemeinschaftsschulen, in denen die bisherigen Erweiterten Realschulen und Gesamtschulen aufgehen sollen. Deren Festschreibung in der Verfassung muss deshalb zunächst aufgehoben werden, angeblich um ein „längeres gemeinsames Lernen“ zu ermöglichen.

Plan A

Das Gymnasium erhält eine Bestandsgarantie. Kommt es zur Gemeinschaftsschule (also zur Abschaffung von ERS und Gesamtschulen), dann soll die Grundschulzeit um ein Jahr verlängert werden. Aus dem G8-Gymnasium wird dann ein G7-Gymnasium (Klasse 6 bis 12). Alternativ kann an der Gemeinschaftsschule nach 8 Jahren  (Klasse 6 bis 13) Abitur gemacht werden. Gymnasien können dann bis zur 7. Klasse nicht mehr abschulen, d.h. schwierige oder leistungsschwache Kinder dürfen in dieser Zeit nicht an die Gemeinschaftsschule abgegeben werden. Das sogenannte Sitzenbleiben entfällt nach Klasse 5 und 6. Wissenslücken sollen durch entsprechende Fördermaßnahmen aufgearbeitet werden.

Plan B

Kommt eine Verfassungsänderung nicht zustande, bleibt mehr oder weniger alles beim alten. Die Eckpunktevereinbarungen enthalten für diesen Fall nur vage Formulierungen. G8 soll demnach wieder mal überarbeitet werden. Von einer Abschaffung ist nicht mehr die Rede. Außerdem soll es mehr Gesamtschulen geben („bedarfsgerechter Ausbau“) durch die Umwandlung von Erweiterten Realschulen, die nicht ausgelastet sind.

Ganztagschulen im Flickwerk

Nach der Ära „Freiwillige Ganztagsschule“ sollen im Saarland jetzt auch echte Ganztagsschulen entstehen. Das ist ein besonders heikler Punkt, denn Ganztagsschulen haben ein durchgängiges pädagogisches Konzept mit einer Verzahnung von Vor- und Nachmittag und sind nicht billig. Insofern sollten wir hier angesichts der klammen Haushaltslage die Erwartungen nicht so hoch schrauben. Eine Ganztagsschule, so das Koalitionspapier, kann durch den „stufenweisen Umbau … mehrerer Schulen gleichen Typs an einem Standort“ entstehen. Ansonsten gebe es dann auch noch die Möglichkeit der Ganztagsklasse. Das ist diese seltsame, noch vor der Landtagswahl von der CDU geplante Insellösung, die ich bereits in meiner Glosse vom 16. August 2009 beschrieben habe. Die Koalitionsparteien haben auch tunlichst vermieden, sich auf irgendeine Zahl von Ganztagsschulen festzulegen.

Getarnte Sparmaßnahme

Bei näherer Betrachtungsweise dieser Vereinbarungen kann von einer echten Schulreform keine Rede sein. Die Forderung des längeren gemeinsamen Lernens durch ein zusätzliches Grundschuljahr zu erfüllen, ist ein schlechter Witz. In fast allen westlichen Industriestaaten bleiben die Kinder bis zur 8. Klasse zusammen. G-8 ist im Saarland bereits ein dauerhafter Sanierungsfall. Wie würde das erst aussehen, wenn unsere Kinder nach dem 5. Grundschuljahr in G-7 geschickt werden?

Wir müssen jedoch damit rechnen, dass diese Pläne tatsächlich umgesetzt werden. Ich halte es für durchaus möglich, dass die Gemeinschaftsschule eingeführt wird und die dazu nötige Verfassungsänderung (erfordert eine zwei-Drittel-Mehrhheit) zumindest mit Hilfe der saarländischen SPD zustande kommt. Erinnern wir uns: 1996 stimmten CDU und Oppositionspartei SPD gemeinsam für eine Verfassungsänderung, um im Saarland die Hauptschule abzuschaffen. Und genau wie damals wird man auch jetzt versuchen, diese Maßnahme als fortschrittliche Schulreform zu verkaufen. Doch in der bisherigen Konzeption ist die Gemeinschaftsschule nichts anderes als ein Werkzeug für die Zusammenfassung der beiden Schulformen ERS und Gesamtschule, wodurch in erster Linie ein enormes Einsparpotential geschaffen werden soll. Es käme zu einer neuen Schulschließungswelle, der mindestens 30 Schulen (Grundschulen nicht mitgerechnet) zum Opfer fielen. Das Schulordnungsgesetz in der jetzigen Form lässt dies zu. Ministerpräsident Peter Müller hat das angekündigte Mitspracherecht der Schulträger (die Landkreise) nicht umsonst vorläufig ausgesetzt, damit das Land weiterhin ungehindert Schulen schließen kann. Die SPD wird die Zustimmung zu der Verfassungsänderung sicher noch mit eigenen Forderungen verknüpfen. Doch man muss davon ausgehen, dass diese nur kosmetischer Natur sind. Wenn`s um`s Sparen geht, sind im Saarland die Reihen fest geschlossen.

GEW Saar ohne Kopf

Es fällt unangenehm auf, dass die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Landesverband Saar zu den neuen Bildungsplänen bisher noch keine Stellungnahme abgegeben hat. Ihr Sprecher, der saarländische GEW-Vorsitzende und Grünen-Politiker Klaus Kessler, gehört selbst zu den Jamaika-Konstrukteuren. Kessler, schärfster Kritiker der saarländischen CDU-Bildungspolitik, ist für das Amt des Bildungsministers in der Jamaika-Koalition vorgesehen. Seine Stimme fällt nun weg. Und was er hinterlässt, ist ein riesiges Loch. Es rächt sich irgendwann, wenn man immer nur alles allein macht und keine „fremden Götter“ neben sich zulässt. Die saarländische GEW steckt in einer tiefen Krise.

Ein Gedanke zu „Jamaika-Bildungspläne sind keine echte Reform

  1. Die Landeselterninitiative für Bildung begrüßt es, wenn in der Bildungspolitik bisherige Barrieren fallen.

    Die neue Landesregierung muss, wenn sie die Schulstruktur anpacken will, für einen breiten gesellschaftlichen Konsens werben. Wir haben (angesichts des „Kulturkampfs“ in Hamburg) die Sorge, dass viel Kraft verbraucht wird und zu viele Verletzungen entstehen, wenn die Veränderung der Schulstruktur in den Vordergrund rückt. Es ändert sich damit noch nichts an der Qualität des Unterrichts.

    Zuallererst muss sich die neue Landesregierung nämlich darum kümmern und Mittel aufwenden, dass die Unterrichtsqualität steigt, denn:

    – Wie in Finnland brauchen die Schulen eine fest verankerte individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler nach dem Prinzip “Kein Kind darf zurückgelassen werden“. Individuelle Förderung muss „Pflichtfach“ werden, für Lehrer. (So hat die Erfolgsgeschichte Finnlands begonnen. Finnland widerlegt im Übrigen, was in Deutschland oft an Bedenken vorgeschoben wird: Chancengleichheit geht nicht auf Kosten des Leistungsniveaus.)

    – Schüler müssen ihr eigenes Lerntempo finden, selbständig eigene Lernwege entdecken und gehen können.

    – Dazu müssen die Klassen kleiner werden.

    – Schulen müssen auf jeden Fall mehr Selbständigkeit bekommen, damit sie sich pädagogisch entfalten und neue Konzepte ausprobieren können. Wir brauchen einen Wandel von der verwalteten zur lernenden Schule.

    – Schulen brauchen einen besseren Tagesrhythmus und mehr Zeit mit den Schülern. D.h. natürlich mehr Lehrerstunden.

    – Die sozialpädagogische und schulpsychologische Beratung muss ausgebaut und als Unterstützung des Lernens aufgebaut werden. Erfolgreiche Schulen in Deutschland haben Schulberater und setzen Coachs für Lehrer ein.

    Wir begrüßen es, wenn über die „schulische Praxis des Versagens“, nämlich das pädagogisch fragwürdige und aufwändige Sitzenbleiben nachgedacht wird. (Etwa 400 Schülerinnen und Schüler wiederholen im Saarland jährlich freiwillig das Schuljahr, 2.900 aber müssen wiederholen. Hinzu kommen jährlich 1.000 Schülerinnen und Schüler, die das Gymnasium abbrechen müssen.)

    Wir können uns mittelfristig – nach einem behutsamen Übergang – als Schulform neben dem Gymnasium das Modell des Schengen-Lyceums vorstellen: eine Mischung aus Gymnasium und integrierter Gesamtschule; eine echte Ganztagsschule mit max. 27 Schülern je Klasse, einem differenzierten Konzept für individuelle Förderung und Aufrücken bis Klasse 9, ohne Sitzenbleiben; der am Ende der Klasse 9 erreichte Leistungsstand ist dort ausschlaggebend für die von der Zeugniskonferenz zu vergebenden Berechtigungen (Bildungswege, Abschlüsse) wie Hauptschulabschluss, Zulassung zu Klasse 10 des berufsbildenden Zweigs oder Klasse 10 des gymnasialen Zweigs. Die neue Schule müsste kooperieren mit „angeschlossenen“ Grundschulen.
    Ideal wäre eine Schule wie in Finnland, die den Schülern die Sicherheit bietet, erst als 15-16-jährige entscheiden zu müssen, ob sie in der gymnasialen Oberstufe oder in der Berufschule weiterlernen wollen. Mehrere Wege führen dort bis zur Hochschulreife, 94 % der Schüler erreichen sie.

    Wir vermissen Aussagen zu Verbesserung der Situation der Berufsschulen, die im Saarland die Stiefkinder der Bildung sind. (Landesweit mehr als 1 800 Wochenstunden Unterrichtsausfall, fachfremder Unterricht, für die Lehrer ständig Prüfungen in verschiedenen Schulformen, Raumnot, überaltertes Kollegium. Viele Schüler nutzen die beruflichen Schulen als Warteschleife. Das Saarland weist an beruflichen Schulen bundesweit mit 26 % die dritthöchste Quote der Ausbildungsabbrüche auf. An beruflichen Vollzeitschulen kommen auf einen Lehrer rechnerisch rund 20 Schüler, der schlechteste Wert in Deutschland.)

    Wir wünschen uns konkrete Aussagen darüber, wie das allgemeine Bildungssystem für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und besonderen Bedürfnissen beim Lernen mehr geöffnet und ihnen damit gleichberechtigte Teilhabe an Bildung und am Leben in der Gesellschaft ermöglicht wird.

    Wir vermissen auch Aussagen über ein Lehrer-Personalkonzept, das eine ausgewogene, gerechte und qualitätsvolle Personalisierung aller Schulen mit Fachlehrern in den nächsten 10 Jahren sicherstellt und Studierenden für das Lehramt Perspektiven gibt.

    Mit freundlichen Grüßen
    Bernhard Strube
    Sprecher der Landeselterninitiative für Bildung e.V.

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