Kessler preist sich selbst

Noch-Bildungsminister Kessler singt eine Lobeshymne auf sich selbst. Es sind zunächst die Schulleiterinnen und Schulleiter, von denen er sich nach dem Bruch der Jamaika-Koalition verabschiedet, nicht ohne die Verdienste seiner Amtszeit in den höchsten Tönen zu preisen. SZ-Redakteur Norbert Freund setzt am nächsten Tag noch eins drauf und widmet Kesslers Werk in der Samstagausgabe einen sehr schmeichelhaften Nachruf, der die beschönigte Bilanz des Bildungsministeriums unreflektiert wiederholt.
Es hat fast den Anschein, als wolle der ehemalige Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mit dieser Außendarstellung seinen Seitenwechsel noch nachträglich rechtfertigen.
Doch was wurde mit diesem zweijährigen Intermezzo eines Gewerkschafters wirklich erreicht? Die Antwort ist ganz simpel: Dem Saarland fehlt jetzt mehr denn je eine starke GEW-Führung. Dafür hat es aber eine Gemeinschaftsschule (GemS), die niemand in der geplanten Form ernsthaft wollen kann. Das ist die nüchterne Bilanz.

Wir werden uns nicht an der gezielt eingesetzten Lobhudelei beteiligen. Sicher gab es in der  Amtszeit Klaus Kesslers auch positive Aspekte, wie beispielsweise die Abkehr von dem restriktiven Schulordnungsgesetz aus den Zeiten der CDU-Alleinregierung. Doch gerade mit der Einführung der Gemeinschaftsschule, der wohl wichtigsten Reform dieser Jamaika-Regierung, hat sich der ehemalige Gewerkschaftsvorsitzende zum Helfershelfer der Kaputtsparer gemacht, zum Erfüllungsgehilfen derer, die er vorher auf`s Schärfste kritisiert hat.

Wir fassen daher die wesentlichen Kritikpunkte zur Gemeinschaftsschule hier nochmals in sieben Punkten kurz zusammen:

1. Missachtung des Elternwillens

Eltern haben jetzt gewissermaßen nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera. Können oder wollen sie ihre Kinder nicht am Gymnasium anmelden, müssen sie die Gemeinschaftsschule nehmen. Damit sind sie gezwungen, sich auf eine abgespeckte Form der bisherigen Gesamtschule einzulassen, wenn sie nicht in ein anderes Bundesland umziehen wollen. Und das ist um so problematischer, weil die jetzige Gesamtschule im Saarland seit ihrer Entstehung starke Qualitätseinbußen hinnehmen musste.

2. Soziale Benachteiligung wird zementiert

Die Einführung der Gemeinschaftsschule ändert nichts an dem unsozialen Ausleseprinzip unseres Schulsystems. Die Kinder werden nach wie vor bereits mit 10 Jahren aussortiert und auf die weiterführenden Schulen verteilt. Es macht keinen Unterschied, ob es sich dabei um ein dreigliedriges oder jetzt nur noch zweigliedriges System handelt. Zudem besteht die Gefahr, dass sich die Gemeinschaftsschule zu einer einzigen großen Restschule entwickeln könnte.

3. Das Märchen vom „längeren gemeinsamen Lernen“

Die Behauptung, die Gemeinschaftsschule würde längeres gemeinsames Lernen ermöglichen, ist die schlimmste aller Lügen. In Deutschland lernen Kinder gerade mal in der Grundschule über einen längeren Zeitraum gemeinsam. Das sind in der Regel vier Jahre. Anschließend ist Schluss mit dem gemeinsamen Lernen. Es folgen zwei Jahre Klassenunterricht in einer neuen Schule mit anderen Lehrern und fremden Mitschülern. Danach wird die gerade abgeschlossene neue Klassenbildung wieder ausgehöhlt durch den ständigen Wechsel der Lerngruppen zwischen Klassen- und Kursunterricht.

4. Die Gemeinschaftsschule ist ein Instrument der Schuldenbremse

Die Zusammenfassung der beiden bisherigen Schulformen Erweiterte Realschule und Gesamtschule schafft ideale Voraussetzungen für Einsparungen bei der Bildung. Sie vereinfacht die Verwaltung. Auf diese Weise kann beispielsweise die Entstehung kleiner Klassen wirksamer verhindert und damit Personal eingespart werden. Da Schulstrukturreformen im Saarland bisher immer finanzpolitisch motiviert waren, ist diese Absicht angesichts der auferlegten Schuldenbremse geradezu offensichtlich.

5. Undurchdachtes Konzept und übereilte Umsetzung

Es gibt für die schwierige Einführungphase der GemS keine zusätzlichen Lehrerstunden wie beispielsweise seinerzeit noch für den Aufbau der Gesamtschulen. Das trifft die Erweiterten Realschulen besonders hart, weil dort die Umstellung wesentlich mehr Veränderungen mit sich bringt als an den Gesamtschulen. Problematisch ist zudem die Unterrichtsverteilung in Klasse 5 und 6. Die Schülerinnen und Schüler, in der Mehrzahl mit Hauptschulniveau, müssen sich mit zwei Fremdsprachen herumschlagen, obwohl ihnen bereits im Fach Deutsch die Grundlagen fehlen. 6 Stunden für Englisch und Französisch, dazu 1 Stunde für das (unverständlicherweise) isoliert vermittelte Fach „Lernen lernen“. Jedoch für Deutsch und Mathematik, wo erfahrungsgemäß die größten Defizite bestehen, sind jeweils nur 4 Stunden vorgesehen (am Gymnasium 6).

6. Aufgeblähte Verwaltung

Die Schulen müssen den Zeitpunkt und die Form der Leistungsdifferenzierung teilweise selbst festlegen. Diese Verpflichtung wird als „Stärkung der Eigenständigkeit“ propagiert, erhöht aber noch zusätzlich die in den letzten Jahren schon enorm gestiegenen schulischen Verwaltungsaufgaben. Sie hat zudem mit Eigenständigkeit nicht viel zu tun, da die Beschlüsse der Schulen letztlich doch noch vom Ministerium abgesegnet werden müssen. Dort wird nämlich nur zugestimmt, wenn sich alles im finanziellen Rahmen bewegt.

7. Das Märchen von der „Augenhöhe mit dem Gymnasium“

Das wichtigste „Verkaufsargument“ für die GemS ist die Garantie aller Schulabschlüsse einschließlich des Abiturs. Schon bisher konnten Schülerinnen und Schüler von ERS und Gesamtschulen mit entsprechendem Notenbild nach Klasse 10 an die Oberstufe eines Gymnasiums oder eines Oberstufen-Verbunds aus mehreren Gesamtschulen wechseln und nach 9 Jahren Abitur machen. Geschafft haben das immer nur wenige, bestenfalls 10 Prozent eines Jahrgangs (ausgehend von Klasse 5). Insbesondere die Gesamtschulen haben daher alles daran gesetzt, um diesen Anteil zu erhöhen und sich damit als echte Alternative gegenüber dem Gymnasium darstellen zu können. Dennoch bleibt der Weg zum Abitur über G 9 schwierig. Angesichts der zahlenmäßig weit überwiegenden Haupt- bzw. Mittlere-Reife-Schüler können die potentiellen Abiturienten zumindest bis Klasse 10 nur unzureichend auf die Oberstufe vorbereitet werden. Deren Fördermöglichkeiten sind einfach zu gering. Beim Übergang an eine gemeinsame Oberstufe der Gesamtschulen wird diesem Umstand in Klasse 11 noch irgendwie Rechnung getragen. Erfolgt hingegen der Wechsel an die Oberstufe eines Gymnasiums (mit Wiederholung der Klasse 10 wegen G 8), hat man als Gemeinschaftsschüler(in) deutlich schlechtere Karten. Da trifft es sich schlecht, dass ein Großteil der bisherigen Erweiterten Realschulen das Abitur nur im Verbund mit dem nächstgelegenen Gymnasium realisieren kann. Bis allerdings die ersten Gems-Klassen aus Jahrgang 2012/2013 soweit sind, gehen ja noch einige Jährchen ins Land. Darüber soll sich dann – gemäß alter saarländischer Tradition – der nächste oder übernächste Bildungsminister Gedanken machen …

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